"Frühes Eisen im Mittelgebirgsraum": Die Eisenproduktion an der mittleren Lahn von der Latènezeit bis ins Mittelalter.

Wirtschaftsarch?ologische Forschungen zur frühen Eisenproduktion und -verarbeitung bieten aufgrund der weitr?umigen Verfügbarkeit des Rohstoffes besonders aussichtsreiche Voraussetzungen, um Konzepte vor- und frühgeschichtlicher Ressourcennutzung vergleichen zu k?nnen. Landschaftstyp und Erzgrundlage k?nnen dabei auch in benachbarten R?umen zu stark differierenden Nutzungsstrategien führen.

In einer Modellregion am Ostrand des Rheinischen Schiefergebirges im mittleren Lahntal ergaben mehrj?hrige interdisziplin?re Voruntersuchungen (Montanarch?ologie, Arch?ometallurgie, Pal?obotanik, Bodenkunde) seit 1999 bisher einmalige Voraussetzungen für eine diachrone Studie lokaler Rohstoffnutzung. Von der jüngeren Eisenzeit (5.-1. Jh. v. Chr.) über die r?mische Kaiserzeit (1.-4. Jh. n. Chr.) bis in die Merowinger- und Karolingerzeit (5.-9. Jh. n. Chr.) hinein liegen von ein und demselben Fundplatz Belege der Eisengewinnung und -weiterverarbeitung vor. Sie erlauben zum einen, die technologische Entwicklung und die Nutzung des Naturraumes dieser Altsiedellandschaft über mehr als ein Jahrtausend menschlichen Wirtschaftens nachzeichnen zu k?nnen. Auf der anderen Seite bietet sich für den rechtsrheinischen Mittelgebirgsraum insgesamt erstmalig die M?glichkeit, auch kulturgeschichtlich den Hiatus, der zwischen der pr?historischen Nutzungsphase und der historisch wie arch?ologisch überlieferten Ausbauphase ab der Karolingerzeit klafft, an einem Modellbeispiel zu überbrücken.

Forschungsstand

In Randlage verschiedener Natur- wie auch kultureller Bezugsr?ume wurde das mittlere Lahntal zwischen Wetzlar und Gie?en (Lahn-Dill-Kreis, Hessen), mit Ausnahme der reichen Grabfunde der r?mischen Kaiserzeit (sog. Giessener Gruppe), in der arch?ologischen Forschung lange Zeit kaum beachtet. Dabei bietet dieser Kleinraum gerade durch seine Lage im Schnittpunkt von Westerwald, Vogelsberg, Taunus und den fruchtbaren L?sslandschaften des Gie?ener Beckens sowie durch die reichen Braun- und Roteisenerzzüge besonders günstige und vielf?ltige Grundlagen einer Besiedlung und Nutzung durch den Menschen. Dies tritt durch die jüngsten Untersuchungen der R?misch-Germanischen Kommission (RGK) Frankfurt in Lahnau-Waldgirmes, Wetzlar-Naunheim und Wetzlar-Dalheim wie auch durch die im folgenden geschilderten Projektforschungen zunehmend hervor, die nicht nur zu den metallurgisch relevanten Zeitepochen herausragende neue Besiedlungsspuren erbracht haben. (s. bandkeramisches Erdwerk Wetzlar-Dalheim ?Rittplatz“).

Im Verlauf eines sechsj?hrigen Vorprojektes (1999-2004) konnte hier nun ein bisher weitgehend unerforschtes vor- und frühgeschichtliches Montanrevier in den Grundzügen erfasst und hinsichtlich seiner Eignung für eine diachron angelegte Modellstudie evaluiert werden. Dabei gelang es, bei Wetzlar-Dalheim ein Fundareal zu lokalisieren, das, einmalig für den Mittelgebirgsraum, ja für die gesamte Bundesrepublik, auf nur wenigen hundert Metern Ausdehnung Eisenproduktionspl?tze von der Eisenzeit bis ins Mittelalter aufweist.

Ziele

Das hier vorgestellte Forschungsprojekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) seit 2006 getragen wird, konzentriert seine Gel?ndearbeit auf dieses eine Fundstellenensemble. Unter Einbezug der 2006 vom Landesamt für Arch?ologische und Pal?ontologische Denkmalpflege Hessen (Wiesbaden) durchgeführten Ausgrabungen im Zuge des Ausbaus der Bundesstra?e 49 im Ausbau-Abschnitt Solms/Altenberg – Wetzlar-Dalheim stehen auf einem Areal von lediglich 600-700m Ausdehnung entlang der Flu?terrasse Fundstellen von der sp?ten Eisenzeit bis ins Hochmittelalter für eine diachrone Auswertung zur Verfügung. Der zust?ndigen Referentin des Landesamts Frau Dr. S. Schade-Lindig ist für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und Unterstützung sowie die ?berlassung von Funden Und Befunddokumentation der Trassengrabung zur Auswertung sehr zu danken.

Dadurch k?nnen nun Produktions- und Weiterverarbeitungsst?tten der Eisenzeit, der r?mischen Kaiserzeit und des Frühmittelalters verglichen und in Verbindung mit einem differenzierten naturwissenschaftlichen Analysenprogramm ausgewertet werden.

Der identische Standort ist dabei für die zeitübergreifende Beurteilung ein zentraler Vorteil. Abweichende Standortfaktoren und ?kologische Voraussetzungen, die sonst bei derartigen Untersuchungen eine Vergleichbarkeit verschiedener Fundpl?tze selbst bei gleicher Zeitstellung erschweren oder verhindern k?nnen, lassen sich von vornherein ausklammern. Andererseits lassen sich l?ngerfristige Umweltver?nderungen bei identischem Standort besonders gut auf m?gliche anthropogene Einflüsse hin hinterfragen. Arch?ologisch-siedlungskundliche, metallurgische und ?kologische Fragestellungen k?nnen auf diese Weise ineinander greifen und lassen ein differenziertes Gesamtbild erhoffen.

Angestrebt wird also nicht allein die Entwicklung der Eisenproduktion über einen Zeitraum von über einem Jahrtausend am selben Ort nachzeichnen zu k?nnen, sondern sie vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Umwelt und unterschiedlichen gesellschaftlichen Voraussetzungen bewerten zu k?nnen.

Dabei gilt es zun?chst die technologischen Parameter der Eisengewinnung und die Rekonstruktion der Prozesstechnologien in den verschiedenen Betriebsperioden n?her zu untersuchen. Die Auswertung umweltrelevanter Daten kann daneben zur Charakterisierung und Rekonstruktion der ?kologischen Randbedingungen und entsprechender anthropogener Einflüsse führen. Schlie?lich wird es um die Verknüpfung wirtschaftsarch?ologischer und kulturhistorisch-siedlungskundlicher Fragestellungen gehen, die besonders auf kulturhistorisch zentrale Umbruchphasen fokussiert. Dies betrifft einmal die jüngerlatènezeitliche Phase (3.-1. Jahrhundert v. Chr.), in der das Dünsberg-Oppidum nach Ausweis der Funde in voller Blüte stand, zum anderen den ?bergang von einer vorr?mischen, gemeinhin als ?keltisch“ bezeichneten Besiedlung zu germanisch-kaiserzeitlichen Siedlungsniederschl?gen in den Jahrzehnten um Christi Geburt. In diesen Zeitraum wichtiger historischer Umbrüche f?llt auch die – wennngleich nur kurze – Phase der r?mischen Okkupation (Dorlar, Waldgirmes). Die r?mische Stadtgründung von Waldgirmes findet sich kaum zuf?llig im Bereich der Erzzüge nur wenige Kilometer südlich des Dünsberges. Zudem wurde sie auf dem gr??ten bisher bekannten latènezeitlichen Gr?berfeld in Hessen angelegt. Mit dem Fundplatz C86 wurde bei Wetzlar-Dalheim ein Areal identifiziert, das neben frühgermanischen Keramikfunden auch Fundmaterial der sp?ten Eisenzeit erbracht hat, also genau diesen ?bergangshorizont zwischen Eisenzeit und R?mischer Kaiserzeit umspannt.

Mit dem Nachweis einer bereits merowingerzeitlichen Siedlungs- und Verhüttungst?tigkeit bietet die Fundstelle von Dalheim C32 auf der anderen Seite einen der ?ltesten frühmittelalterlichen Eisenproduktionsbelege im gesamten Mittelgebirgsraum. Arch?ologie wie schriftliche ?berlieferung lassen eine intensivere Montanproduktion sonst erst für das sp?te 8. bzw. das 9.-10. Jahrhundert erkennen. Die Erfassung einer merowingerzeitlichen Siedlung ist für sich genommen für die Region bereits eine Besonderheit. Eine Ausweitung der Forschungen auf dieser Fundstelle erlaubt es nicht nur, die Anf?nge des frühmittelalterlichen Montanwesens an einem besonders aussagekr?ftigen Beispiel zurückverfolgen zu k?nnen, sondern erstmals überhaupt einen gr??eren Ausschnitt einer derartigen Ansiedlung untersuchen zu k?nnen. Im Verbund mit sp?tantiken Fundniederschl?gen am Ortkann es sogar gelingen, die Lücke, die bisher für weite Teile der rechtsrheinischen Mittelgebirge zwischen ?keltisch-germanischer“ und mittelalterlicher Montanproduktion klafft, an einem Modellfall zu überbrücken.

Die Ausgrabung auf Fundplatz C32

In einem Randgebiet der rohstoffreichen Mittelgebirgszone zwischen Butzbach, Weilburg und dem keltischen Oppidum auf dem Dünsberg wurden im Rahmen des interdisziplin?ren Projekts systematisch die Relikte pr?historischer bis mittelalterlicher Eisengewinnung gesichtet und bewertet.

Im Rahmen eines zweistufigen Konzepts er?ffneten lagerst?ttenorientierte Prospektionen entlang der Rot- und Brauneisenerzzüge der n?rdlichen Lahnmulde zun?chst einen ??berblick über die gesamte Montanlandschaft. und den erhaltenen Denkm?lerbestand. Im Anschluss erm?glichten kombinierte Detailprospektionen ausgew?hlter Fundpl?tze mit Hilfe von geomagnetischen Messungen, Bohrprogrammen, 14C-Datierung und Sondagegrabungen tiefere Einsichten in Art und Struktur einzelner Fundpl?tze dieses bisher kaum bekannten vor- und frühgeschichtlichen Montanreviers am Ostrand des Rheinischen Schiefergebirges (Abb. 2)

Im Verlauf des Projekts konnte, erstmals für Hessen, eine Schmiedewerkstatt der jüngeren Eisenzeit (Mittellatènezeit) in Lahnau-Atzbach ausgegraben werden, die detaillierte Einblicke zur keltischen Metallverarbeitung im Vorfeld des Dünsberges geben kann. Nur zwei Kilometer südlich der Fundstelle lag bei Dutenhofen ein fast zeitgleicher Eisenverhüttungsplatz, der durch den Kiesabbau in der Lahnaue angeschnitten worden war (Abb.3).

Besonderes Augenmerk wurde in den Jahren 2001-2003 auf ein Fundstellenensemble bei Dalheim am Westrand der Stadt Wetzlar gelegt. Auf engstem Raum (ca. 500x1000 m) konnten hier mittlerweile mindestens fünf meist mehrperiodige Siedlungspl?tze mit Eisenverhüttung und Schmiedet?tigkeit lokalisiert werden, deren chronologischer Rahmen von der jüngeren Eisenzeit (4.-1. Jh v. Chr. ) über die r?mische Kaiserzeit (1.-4. Jh. n. Chr.) bis ins Früh- und Hochmittelalter (5.-12. Jahrhundert) reicht. Gro?fl?chige geomagnetische Prospektionen (40 Hektar) erfassten dabei auch eine Grabenanlage, die sich samt zugeh?riger Langh?user als jungsteinzeitliches Erdwerk identifizieren lie?. Mit einer Innenfl?che von über 3 ha handelt es sich um das gr??te bisher bekannt gewordene sp?tbandkeramische Erdwerk Hessens. Auf besonders eindrückliche Weise zeigt dieser Befund den Charakter des Lahntals als Altsiedellandschaft In den Jahren 2002/2003 erschloss eine Grabung auf Fundstelle C32 in Wetzlar-Dalheim eine dieser mehrperiodigen metallurgischen Fundstellen, an der sich Eisenverhüttung und -weiterverarbeitung sowohl der Eisenzeit, als auch des frühen Mittelalters nachweisen lie? (Abb. 4).

Die Ausgrabungen auf Fundplatz C86

Die Untersuchungen auf Fundplatz C86 in Wetzlar-Dalheim ?ffneten einen technologiegeschichtlich wie kulturhistorisch gleicherma?en herausragenden Fundplatz. Die zweiphasige Nutzung in der Sp?tlatènezeit und in der frühen/?lteren R?mischen Kaiserzeit sichert qualit?tvolle Aussagen zu den Kernfragen des Projekts. Zudem konnten sp?tbronzezeitliche Siedlungsreste aufgedeckt werden.

Die Ausgrabungsarbeiten erschlossen insbesondere einen kleinen, in seiner r?umlichen Zusammengeh?rigkeit und kurzzeitigen Belegung für den gesamten Mittelgebirgsraum bisher einmaligen Befundkomplex zur ?lterkaiserzeitlichen Eisengewinnung. Modellhaft lassen sich daran nicht nur erstmals detaillierte Angaben zur Eisentechnologie jener Zeit gewinnen, der Befund eignet sich darüber hinaus auch dazu, die Methodik montanarch?ologischer Forschung im Gel?nde und in der Auswertung weiterzuentwickeln.

Mit der konsequenten dreidimensionalen Erfassung s?mtlicher Funde auf einem metallurgischen Fundplatz wurde in dieser Gr??enordnung (über 31.000 Funde) methodisches Neuland betreten. Die Ma?nahmen n?hern sich dabei an die bei pal?olithischen Fundstellen angewandte Methodik an und machen deren taphonomische Erkenntnism?glichkeiten auch für andere antike Arbeitsabl?ufe nutzbar. Am Beispiel eines frühmittelalterlichen Eisenproduktionskomplexes in Wetzlar-Dalheim C32 konnte im Rahmen des Vorprojekts bereits die erfolgreiche Implementierung von Einzelfundeinmessung und systematischen Fundanpassungen (?re-fitting“) demonstriert werden.

Bei einem geeigneten Untersuchungsobjekt sind die Erkenntnism?glichkeiten der Einzelfundeinmessung durch die hohe r?umliche Aufl?sung der Fundverteilung über alle anderen Grabungsmethoden erhaben. Die gute Befunderhaltung, ein funktional, r?umlich und zeitlich eng zusammengeh?rendes Befundensemble und daraus ableitbare tragf?hige Quantifizierungs- und Rekonstruktionsm?glichkeiten in der Auswertungsphase lohnen den hohen Aufwand am Fundplatz Wetzlar-Dalheim C86. Durch flankierende Ma?nahmen, wie Suszeptibilit?tsmessungen und zuletzt den Einsatz von 3D-Lasertechnologie zur Befunderfassung und –dokumentation in Zusammenarbeit mit der Professur für Restaurierungswissenschaften am IADK wurde dieser Ansatz daher konsequent ausgebaut und zukunftsweisend weiterentwickelt.

Das durch seine Lage in einer Gel?nderinne au?ergew?hnlich gut erhaltene Ensemble aus Grubenhaus, eingetiefter Werkstattgrube mit ?berresten von über einem Dutzend Rennfeuer?fen sowie zwei seitlich bzw. Hang abw?rts anschlie?ende Abwurfhalden er?ffnet die einmalige M?glichkeit, eine in sich geschlossene und komplett überlieferte Betriebseinheit sowohl qualitativ als auch quantitativ untersuchen und auswerten zu k?nnen.

Mit der Aufdeckung eines latènezeitlichen Laufhorizonts mit Radspuren gelang zudem eine stratigraphische Trennung zwischen sp?ter Eisenzeit und R?mischer Kaiserzeit. Der Aufsehen erregende Befund führt die besonders guten Erhaltungsbedingungen des Grabungsplatzes deutlich vor Augen.

Bemerkenswert für die Frage einer technologischen Kontinuit?t oder Diskontinuit?t zwischen Eisenzeit und R?mischer Kaiserzeit ist die enge schlackentypologische Verzahnung sp?tlatènezeitlicher (Fundplatz C32) und frühkaiserzeitlicher (Fundplatz C86) Abf?lle, einhergehend mit der Nutzung der gleichen (h?matitischen) Erzgrundlage. Hier deuten sich auf technologischer Grundlage Traditionsstr?nge von der vorr?mischen Eisenzeit in die ?ltere R?mische Kaiserzeit an, die einen Bev?lkerungswechsel zwischen ?Kelten“ und ?Germanen“ zu konterkarieren scheinen.

Welche Rolle ?Rom“ in diesem Beziehungsgeflecht gespielt hat, gilt es an diesem Fundplatz in besonderem Ma?e im Auge zu behalten. Die recht hohe Anzahl von Sigillaten und anderen Importfunden zusammen mit einer Fibel Almgren 20 als Hinweis auf die (zeitweilige) Pr?senz r?mischen Milit?rs zu werten, führt zum gegenw?rtigen Zeitpunkt sicher zu weit. Südgallische Sigillata fand sich in Wetzlar-Dalheim allerdings erstmals für den hessischen Raum in einem nichtr?mischen Kontext. Bemerkenswert bleibt darüber hinaus, dass sich eine (l?ngere) Unterbrechung in den Beziehungen zum r?mischen Reich nach der Clades Variana am Fundplatz Wetzlar-Dalheim nicht abzuzeichnen scheint.