Von unerfüllter Liebe: ?Ez tuot vil wê“
Wie ?hnlich Minnesang modernen Popsongs sein kann, hat das Publikum bei der Langen Nacht der Liebe am 10. Mai 2019 erfahren. Rund 25 Vortragende, Studierende und Lehrende der Universit?t Bamberg pr?sentierten in der Treffbar des ETA Hoffmann Theaters Minnesang: Sie sangen, lasen und interpretierten mittelalterliche Dichtkunst – von 18 Uhr abends bis 7.30 Uhr morgens. Schon zweimal haben die Universit?t und das Theater bei ?hnlichen Projekten kooperiert. In langen N?chten wurden jeweils das Nibelungenlied und Parzival am Stück vorgetragen. Letzteres dauerte 23 Stunden.
Was ist dagegen schon ein 13-stündiger Minnesangmarathon? Das m?gen sich die immerhin 15 Personen gedacht haben, die bis zum Ende durchgehalten haben, also ?bis der Morgendrache seine Klauen durch die Fensterl?den geschlagen hat“, wie es im Programm hie?. Unter den erfolgreichen Marathonl?ufern befand sich der Germanist Dr. Detlef Goller, Initiator und Moderator der Veranstaltung. Zu Beginn verglich er Minnesang mit modernen Songs: Die Zeile ?Ez tuot vil wê“ von Heinrich von Morungen klinge etwa wie ?Loving can hurt“ von Ed Sheeran. Seit Jahrhunderten h?tten S?nger nach Antworten auf die Frage ?Kann mir jemand sagen, was Liebe ist?“ gesucht.
Minnesang als Sprachkunst und Gesellschaftsspiel
Dass es auch deutliche Unterschiede im Vergleich zur heutigen Gesellschaft gab, zeigte der Deutschlehrer Dr. Ulrich Steckelberg: ?In der h?fischen Gesellschaft des Mittelalters konnte die Liebe nicht ausgelebt werden. Man heiratete aus politischen Gründen.“ Der Minnesang war sowohl Sprachkunst als auch Gesellschaftsspiel. Der Minnes?nger – h?ufig ein Ritter oder Lehnsherr – pries die Sch?nheit einer Dame, die seine Gefühle nicht erwiderte. Seine Rolle war die des treuen und best?ndig klagenden Dieners. Diesen Standard überspitzte der fahrende S?nger Walther von der Vogelweide: ?Er jammerte nicht, sondern drohte: Wenn seine Dame ihn nicht erh?ren will, dann besingt er sie eben nicht mehr“, berichtete Steckelberg.
Walther von der Vogelweide stichelte in seinen Texten nicht nur gegen die Angebetete, sondern auch gegen Reinmar, den Alten. In der Forschungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts wurden die gegenseitigen Sticheleien zur Walther-Reinmar-Fehde hochstilisiert. Vier Studierende der Interdisziplin?ren Mittelalterstudien griffen die Idee der streitenden S?nger beim Minnesangmarathon auf, um in einer Art ?Battle-Rap“ einzelne Texte gegenüberzustellen. Viel ?bung war nicht n?tig: ?Wir k?nnen mittelhochdeutsche Texte problemlos lesen und verstehen, weil wir uns zum Teil seit 2011 damit besch?ftigen“, erkl?rte Studentin Yvonne Spindler. Sie h?tten sich zur Vorbereitung vor allem einen ?berblick zur aktuellen Forschungslage verschafft.
Mittelalter verknüpft mit Forschungsans?tzen
Alle Beteiligten hatten sich zur Aufgabe gemacht, auf Forschungserkenntnisse einzugehen. So sangen die Birds of one feather, Anglistinnen und Anglisten der Universit?t Bamberg, den Kanon Cuckoo Song. Zus?tzlich interpretierte die sprachliche Betreuerin Prof. Dr. Gabriele Knappe eine Handschrift mit Originalnoten aus dem 13. Jahrhundert, die Aufführungshinweise enthielten, zum Beispiel eingezeichnete Pausen. Dadurch wüsste man ungef?hr, wie das Lied vorgetragen wurde – was die S?nger auch in die Tat umsetzten. Und Detlef Goller r?umte mit Vorurteilen auf: Das wie selbstverst?ndlich als Mann interpretierte ?Ich“ im Minnesang k?nnte manchmal auch eine Frau sein. Goller gelang es beim Minnesangmarathon wieder, lebendige Eindrücke des Mittelalters mit aktuellen Forschungsans?tzen aus dem Zentrum für Mittelalterstudien zu verknüpfen.
Zugleich ist die Veranstaltung ein Beispiel für die Kooperation zwischen Universit?t und Theater, die seit 2015 auch eine Vereinbarung regelt. Die Zusammenarbeit umfasst unter anderem Proben- und Vorstellungsbesuche durch Seminargruppen, die Einbindung von Studierenden als ?Theaterscouts“ oder gegenseitige Unterstützung in der ?ffentlichkeitsarbeit. So auch bei der Langen Nacht der Liebe: Die Otto-Friedrich-Universit?t und das ETA Hoffmann Theater bewarben die Veranstaltung gemeinsam.