Geschlechtersensible Forschung: Die App "I-GENDO"
Im Rahmen des Projekts GENIAL forschen stellt die Universit?tsfrauenbeauftragte Prof. Dr. Astrid Schütz zusammen mit dem Frauenbüro ein Netzwerk zu geschlechtersensibler Forschung auf die Beine und zeigt, was es an der Universit?t Bamberg schon alles für interessante Projekte, Publikationen und Veranstaltungen gibt, die in ihrer Forschung unterschiedliche Geschlechterperspektiven berücksichtigen. kUNIgunde pr?sentiert nun einige davon und fragt, was geschlechtersensibles Forschen eigentlich bedeutet. Diesmal berichten Prof. Dr. Sabine Steins-L?ber, Prof. Dr. J?rg Wolstein und Caroline Seiferth, M.Sc. über die neu entwickelte App "I-GENDO".
Sie haben gemeinsam an der Entwicklung der App ?I-GENDO“ gearbeitet. Was sollten wir unbedingt darüber wissen? Um was handelt es sich dabei genau?
JW: Die Idee kam uns, als eine Ausschreibung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Wettbewerb auslobte, in dem Antr?ge zu einer Gender-sensiblen Therapiestudie gestellt werden konnten. Wir haben uns dafür ein Thema ausgesucht, das im Alltag eine wichtige Rolle spielt, n?mlich die Behandlung von ungesundem ?bergewicht.
CS: Und gerade bei diesem Thema spielen Gender-Aspekte eine gro?e Rolle; bei Frauen und M?nnern entwickelt sich ?bergewicht aus unterschiedlichen Gründen und auch therapeutische Ma?nahmen sind in vielen Aspekten verschieden. Wir wollten deshalb erforschen, wie wir eine Smartphone App entwickeln k?nnen, die alle Personen gleicherma?en anspricht und auf die jeweiligen speziellen Bedürfnisse und Lebensrealit?ten eingeht.
Was reizt Sie an diesem Thema oder wie sind Sie dazu gekommen?
CS: Genderforschung hat in den letzten Jahren noch einmal an Bedeutung gewonnen, nicht nur in der personalisierten, also auf die individuellen Voraussetzungen eines Menschen angepassten Medizin, sondern auch im Bereich der Psychotherapie.
SSL: Unsere Hauptmotivation dabei war, durch die Berücksichtigung von Gender-Aspekten eine Behandlungsm?glichkeit für Menschen mit ?bergewicht und Adipositas zu entwickeln, die im Vergleich zu den bisherigen Ans?tzen mit einer l?ngerfristigen Verhaltens?nderung und Gewichtsreduktion einhergeht.
JW: Und es kommt dazu, dass wir inzwischen mit den neuen Medien wie einer Smartphone App geeignete Werkzeuge zur Verfügung haben, mit denen wir nicht nur sehr viele Menschen erreichen, sondern auch die Inhalte einer Intervention gut an die Bedarfe der Nutzerinnen und Nutzern anpassen k?nnen.
Worin liegen Erkenntnisse Ihrer Arbeit für die Genderforschung bzw. die Genderdebatte?
JW: Die M?glichkeit, in einer Smartphone-App die Inhalte gendersensibel in verschiedenen Varianten darzustellen und die NutzerInnen unabh?ngig vom biologischen Geschlecht w?hlen zu lassen, welche Inhalte für sie individuell relevant sind, erm?glicht eine wirksame Intervention.
CS: Die psychologischen Themen, die in der I-GENDO Intervention bearbeitet werden, sind auch für andere Problembereiche und die allgemeine psychische Gesundheit relevant. Zukünftig w?re es wichtig zu untersuchen, ob und inwiefern diese innovative gendersensible Struktur der App auch auf andere Felder übertragen werden kann.
SSL: Und bei der Ver?nderung des gewichtsbezogenen Verhaltens sehen wir bei Frauen und M?nnern durchaus Unterschiede. Hier scheint es unterschiedliche Wege zum Behandlungserfolg und Gewichtsverlust zu geben. Das ist eine wichtige Erkenntnis und verdeutlicht, dass in der Psychotherapie Gender-Aspekte insgesamt st?rker adressiert werden sollten.
Wie forscht man Ihrer Meinung nach gendersensibel?
JW: Besonderheiten der Geschlechter beachten aber nicht starr in zwei getrennten Kategorien denken.
CS: Den Punkt finde ich sehr wichtig. Gendersensible Forschung setzt voraus, dass man anerkennt, dass Gender/Geschlecht komplex ist und es in vielen Situationen eben nicht die eine ganz glasklare Antwort gibt. Um die verschiedenen Perspektiven abzubilden, eignen sich vor allem qualitative Forschungsmethoden. Auch wir haben in unserem Projekt Fokusgruppen mit Studienteilnehmer*innen durchgeführt. Die Ergebnisse der Interviews im Hinblick auf Gender/Geschlecht waren weitaus vielf?ltiger und facettenreicher als es ein einzelner Fragebogenwert h?tte abbilden k?nnen.
SSL: Es existieren mittlerweile auch einige Checklisten für Forscher*innen, die eine gute Orientierung geben, ob die eigene Forschung Genderaspekte berücksichtigt. Diese kritische Reflektion der eigenen Arbeit sollte im Optimalfall nicht nur im Rahmen von expliziten gendersensible Projekten passieren, sondern bei allen Forschungsvorhaben.
Welchen strukturellen Herausforderungen mussten Sie sich bei der Umsetzung des Projekts stellen, vielleicht auch in Bezug auf das gendersensible Forschen?
CS: Eine Herausforderung bei der Entwicklung der App war es, unsere eigene ?Geschlechterstereotyp-Brille“ auszuziehen. Besonders bei der Interpretation von bestehenden Forschungsergebnissen, die die Grundlage unserer Intervention bilden. Ich würde auch nicht behaupten, dass uns das bis ins letzte Detail gelungen ist. So ehrlich müssen wir zu uns selbst sein. Dazu kommt, dass in unserem Projektteam überwiegend weiblich sozialisierte Personen gearbeitet haben, so dass ein gewisser Bias auf jeden Fall da ist.
JW: Um dieser Herausforderung etwas entgegenzustellen haben wir w?hrend des gesamten Entwicklungszeitraums die App in vielen Projektbesprechungen und auch zusammen mit Betroffenen immer wieder auf den Prüfstand gestellt. Die Perspektive der m?nnlichen Teilnehmer in den angesprochenen Fokusgruppen war hier sehr wichtig für uns. Bei der Durchführung der Studie war es zun?chst schwierig, M?nner zur Teilnahme zu bewegen. Das ist ein bekanntes Ph?nomen bei Gewichtsreduktionsprogrammen, das wir im Nachhinein von Anfang an anders h?tten angehen k?nnen.
Warum ist Ihre Forschung auch für die Allgemeinheit von Interesse?
JW: Gesundheits- und Therapie-Apps haben bisher kaum M?glichkeiten, die Inhalte individuell und gendersensibel anzupassen. Mit unserer Forschung konnten wir zeigen, dass dies m?glich ist und langfristig gute Ergebnisse bei der Wirkung liefert. SSL: Die Studienteilnehmenden haben unsere App sehr positiv bewertet und auch l?ngerfristig genutzt. Dies liegt unsers Erachtens auch an der gendersensiblen Individualisierung der Inhalte. CS: Hinzu kommt, dass es bisher leider noch sehr wenig psychologische Behandlungsoptionen für Menschen mit ?bergewicht und Adipositas gibt. Und hier konnten wir im Rahmen der Studie vielen Menschen Zugang zu diesem wichtigen Behandlungsbaustein erm?glichen.
Was sollten sich am Thema Interessierte anschauen oder anh?ren?
CS: Viele Menschen mit ?bergewicht sind von Gewichtsdiskriminierung (Fat Shaming) betroffen. Was sich wiederrum auf die Psyche und auch das Verhalten auswirken kann. Wahrscheinlich ist es nicht überraschend zu h?ren, dass die Forschung zeigt, dass auch dabei Gender/Geschlecht eine gro?e Rolle spielt. Zu diesem Thema kann ich die Podcasts ?Respect my Size“, ?maintenance phase“ und den Instagram-Account @wenigstenseinhübschesgesicht empfehlen.
Wir bedanken uns für das Gespr?ch!
Weitere Informationen zum Projekt und zur App findet ihr hier.