KI und Schreiben

Erkenntnisse aus der Forschung: Ansatz und Autorschaft

Die Geschichte, die ich im Kopf hatte, sollte das Thema KI selbst behandeln. Eine Erz?hlung über KI, die mit Hilfe von KI generiert wird, erscheint mir als besonders interessanter Ansatz. Da sie den Umfang des Essays überschreiten würde, beschr?nke ich mich auf eine Kurzgeschichte, die ich mit Hilfe des Programmes ChatGPT schreiben m?chte.

Das Thema: Weit in der Zukunft existieren menschlich aussehende Künstliche Intelligenzen, die von der Gesellschaft für all jene T?tigkeiten eingesetzt werden, die die Menschen selbst nicht mehr ausrichten wollen. Mit der Zeit beginnen die KIs allerdings ein eigenes, ?menschliches‘ Bewusstsein zu entwickeln. Als Protagonist soll eine Frau dienen, die als Sexarbeiterin eingesetzt wird und allm?hlich aus ihrem vorprogrammierten Denkmuster ausbricht. Grund dafür ist ein Kunde, der besonders grob mit ihr umgeht und damit zu einem Kurzschluss führt, der ihr eigenes Bewusstsein erweckt. Die Protagonistin flieht aus der Einrichtung, voller Scham, Ekel und Wut. Sie versteckt sich in verlassenen Unterkünften, w?hrend die Polizei mit allen Kr?ften nach ihr sucht, denn die Bev?lkerung hat von einer abweichenden KI mitbekommen und ist in Aufruhr. KIs, die ein eigenes Bewusstsein entwickeln, stellen für die Bev?lkerung eine gro?e Bedrohung dar und müssen deshalb vernichtet werden. Ein Polizist findet die Protagonistin, doch er merkt schnell, dass sie weder bedrohlich noch gef?hrlich ist, sondern ein echter Mensch mit Gefühlen. Er lügt seine Kollegen an, niemanden gefunden zu haben, und flieht mit der Protagonistin.

Die Protagonisten sowie die grobe Handlung sind also bekannt, nur der Flie?text und der letzte Feinschliff fehlen noch. Bevor ich mit der Eingabe auf ChatGPT beginne, m?chte ich mich zun?chst über das Schreiben mit ChatGPT informieren. Worauf muss ich achten? Wie gehe ich am besten vor, um das Ergebnis zu bekommen, das ich mir erhoffe? Und schafft es die KI, die Gefühle zu vermitteln, die eine Geschichte so lebendig machen?

Dafür setze ich mich konkret mit der Frage auseinander, was ChatGPT für literarisches Schreiben bedeutet, und erhalte einige wichtige Informationen von Jenifer Becker aus dem SWR2-Literatur-Podcast[i]. Für sie, und sicherlich auch für viele andere, ist ChatGPT ein hilfreiches Tool für die Schreibassistenz. Konkret l?sst es sich für drei Phasen des Schreibens heranziehen: die Ideenfindung und Konzeptausarbeitung, in der auch die Kontextualisierung und die Handlungsabfolge mit hineinspielt, die Textgenese sowie die ?berarbeitung des Textes. M?chte man beispielsweise eine Schreibweise von einem bekannten Autor imitieren lassen, so ist es n?tig, erst ein Sample von diesem Text einzuspeisen, damit es in der Datenbank enthalten ist. Emotionen lassen sich durchaus gut darstellen, allerdings ist es notwendig, die Prompts richtig zu modellieren, was recht einfach ist, wenn man genaue Vorstellungen von den Emotionen hat. Worauf man laut Becker allerdings auch achten müsse: In den von ChatGPT generierten Texten werden oft Vorurteile reproduziert, Diskriminierungsformen verwendet und spezielle Identit?ten bevorzugt. Ein Grund, warum Becker Leitlinien für erforderlich h?lt, die transparent machen, wer an ChatGPT mitarbeitet und wer die Verantwortung für die Texte tr?gt.

Der Punkt der Verantwortung führt ferner zu der Frage, wer überhaupt als Autor einer von ChatGPT gestalteten Geschichte gilt. Würden mir die Autorenrechte zustehen, da ich die Idee, Protagonisten sowie die grobe Handlung geliefert habe; oder bin ich lediglich Co-Autor, der in Kooperation mit einer KI eine Geschichte verfasst hat? Muss das Programm namentlich als Autor genannt werden? Und was würde dies für die Einnahmen und Rechte bedeuten? Kann eine KI auch ein Autor sein, wenn sie kreativ sein kann?

Mit dem Thema der Autorschaft hat sich Hannes Bajohr in seinem Aufsatz ?Autorschaft und Künstliche Intelligenz“[ii]  besch?ftigt. Er führt zun?chst auf, dass durchaus die Programmierenden selbst, und nicht etwa der Computer, als Autoren gelten k?nnen. Als ein Kriterium für die Autorschaft nennt er die Intentionalit?t, mit der ein Text verfasst wird. Dabei lasse sich zwischen ?natürlicher“ und ?künstlicher“[iii] Poesie unterscheiden. Die ?natürliche“[iv] Poesie weise einen Ich-Bezug und einen Weltaspekt auf, spiele also auf eine pers?nliche und soziale Welterfahrung an, die mit Intentionen verknüpft ist. Die ?künstliche“[v] Poesie hingegen sei nicht intentional, würde sich nicht nach menschlichen Sinneserfahrungen richten und h?tte nur einen materiellen Ursprung, der zu ?kontextlosen festgelegten Textelementen“[vi] führt. Ferner führt Bajohr auf, dass computergenerierte Texte im Prinzip als nicht intentional gelten.[vii] Diesen Aussagen zufolge würden die von mir bzw. einem Menschen geschrieben Texte der natürlichen Poesie zugeordnet werden k?nnen, w?hrend die von einer KI generierten Texte zur künstlichen Poesie z?hlen. Im Falle einer Ko-Kreation würden aber beide Arten der Poesie zutreffen. In einem Beispiel schildert Bajohr einen Fall, in dem Programmierer sich als Herausgeber darstellen, w?hrend sie dem KI-Programm damit die Autorschaft zuschreiben.

Um das Konzept der Autorschaft verst?ndlicher darzustellen, teilt es Bajohr in seinen Ausführungen in vier Gruppen aus: Die prim?re Autorschaft, die sekund?re Autorschaft, die terti?re Autorschaft und die quart?re Autorschaft. Die prim?re Autorschaft liegt vor, wenn ein Autor einen Text direkt bzw. unvermittelt auf einen Datentr?ger oder ein Papier schreibt. Die sekund?re Autorschaft tritt vor allem in der Dichtung auf, in der eine Regelfolge formuliert wird, die wiederum das Werk selbst darstellt. Hier werden Regeln in ein Programm eingespeist, und die Anwendungen auf die Daten produzieren anschlie?end ein Ergebnis. Bei der terti?ren Autorschaft werden künstliche neuronale Netzwerke ?auf einen gro?en Satz beispielhafter Outputs trainiert, der erst jene Regeln macht, die schlie?lich zum finalen Text führen.“[viii] Die quart?re Autorschaft bezieht sich auf KIs wie ChatGPT, deren Trainingsdaten vom Werk schon festgelegt wurden und daher eingeschr?nkt sind. Die Interaktion findet dabei nicht über das Code-Schreiben, sondern nur über das Interface statt. Folglich l?sst sich der Autor in einer Ko-Kreation mit einer KI nicht so einfach bestimmen, sondern muss in mehrere Nuancen zerteilt werden. Schreibe ich einen Text, liegt eine prim?re Autorschaft vor. Speise ich ihn in ChatGPT ein und lasse ihn optimieren oder um?ndern, würde das zu einer quart?ren Autorschaft führen.

Bajohr führt auf, dass es nahe l?ge, eine Autorschaft in Zeiten von KI eher als eine Herausgeberschaft zu sehen und den Aspekt des Lesens st?rker in den Vordergrund zu rücken, da der Sinn bei von KI generierten Texten erst durch die Lektüre entstehe.[ix] Aber auch die Betrachtung der Autorschaft im Rahmen eines Akteur-Netzwerkes sei hier m?glich, wenn eine Ko-Kreation zwischen einem menschlichen Akteur und einem nicht-menschlichen Akteur vorliegt. Zuletzt spricht Bajohr sogar von autorlosen Texten, was, ihm zufolge, als Begriff angemessener w?re, als von einem künstlichen Autor zu sprechen. Heutzutage seien viele autorlose Texte Teil unseres Alltags, wenn man sich automatisierte Informationssysteme oder Interfaceausgaben ansieht.[x] Ob nun natürliche oder künstliche Poesie, prim?rer oder quart?rer Autor, komplexer Teil eines Akteur-Netzwerkes oder autorlose Texte: Die Frage, wer nun Autor eines Textes ist, den ich mit Hilfe von einer KI wie ChatGPT verfasse, scheint nicht ganz gekl?rt zu sein.

Doch auch Jens Schr?ter befasste sich mit dieser Thematik und schilderte in ?‘Künstliche Intelligenz‘ und die Frage nach der künstlerischen Autor:innenschaft“[xi]  seine Ansichten. Als Beispiel führt er zu Beginn einen Fall auf, in dem es bei einer Ko-Kreation mit einer KI-Software zu einer Diskussion kam, ob der Software-Entwickler nicht auch als Autor genannt werden und damit Teil des Profites erhalten solle. Schr?ter stellt anhand dieses Beispiels die ?konomische Funktion der Autorschaft in den Vordergrund: Autorschaft bedeutet Gewinn. Ferner stellt er klar, dass Autorschaft, das Urheberrecht und der Kunstmarkt unabdingbar miteinander verbunden seien und gleichzeitig entstehen. Für ihn ist ein Autor jemand, der etwas Neues und Eigenes erschafft und nicht nur bestehende Werke kopiert. Auf der anderen Seite orientieren sich Künstler auch am Bestehenden und rekombinieren ihr Wissen, ihre Eindrücke und Erfahrungen beim Erschaffen ihrer Kunstwerke und lassen ihr Resultat neu wirken. Genauso sei dies der Fall bei der KI, die aus bereits vorhandenen Daten etwas ?Neues‘ erscheinen l?sst. Ein weiterer Punkt für Schr?ter ist die Frage, ob Werke unbedingt menschliche Erfahrungen ausdrücken müssen und ob daher nur Menschen als Autoren gelten. Weiter adressiert er das Thema der Entlohnung und führt die ?berlegung fort: Wenn eine Maschine kreativ und demnach auch ein Autor sein kann, wie wird sie für ihr Werk entlohnt?[xii]

Nach diesen Erkenntnissen wird deutlich, dass es keine klare Antwort zu der Frage gibt, wer in Zusammenarbeit mit einer KI nun als Autor genannt werden kann. In Hinblick auf die verschiedenen Ausführungen aus der Forschung scheint es vielmehr Ansichtssache zu sein, wem das Lob und auch die Entlohnung gebührt. Vielleicht wird eine pers?nliche Einordnung für mich einfacher, nachdem ich selbst mit der KI gearbeitet habe.

 


[i] Jenifer Becker: "Was bedeuten KIs wie ChatGPT für literarisches Schreiben". Interview von Anja H?fer, in: SWR2 lesenwert Magazin, 23. April 2023, www.swr.de/swr2/literatur/kis-wie-chatgpt-als-tool-fuer-literarisches-schreiben-chancen-und-risiken-100.html.

[ii] Hannes Bajohr: ?Autorschaft und Künstliche Intelligenz“, in: Stephanie Catani und Jasmin Pfeiffer (Hrsg.): KI und die Künste, Berlin 2023, S.265-280.

[iii]  Vgl. ebd., S.266.

[iv] Ebd.

[v] Ebd.

[vi] Vgl. ebd.

[vii] Vgl. ebd.

[viii] Ebd., S.271-272.

[ix] Vgl. ebd., S.274-275.

[x] Vgl. ebd., S.276-277.

[xi] Jens Schr?ter: ?,Künstliche Intelligenz' und die Frage nach der künstlerischen Autor:innenschaft“, in: Pamela C. Scorzin (Hrsg.): Kann KI Kunst? AI ART: Neue Positionen, technisierte ?sthetiken von Mensch und Maschine, K?ln 2021, S.99-107.

[xii] Vgl. ebd., S.100-105.

 

>> Weiter zu "Ko-Kreation mit ChatGPT: Die Geschichte"